Neue Grundrechte für Europa

Karl-Peter Conrads zu Ferdinand von Schirachs Buch „Jeder Mensch“

15.04.2021, 20:16 Uhr | Karl-Peter Conrads

Das Buch - die sechs Grundrechte befinden sich auf der hinteren Umschlagseite - handelt von
- der Idee der Unabhängigkeits-erklärung der 13 britischen Kolonien in Nordamerika von England am 4. Juli 1776
(„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; …!“)
- über Lafayettes Deklaration von 1789 („Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es!“),
- deren Einbringung in die Nationalversammlung und den Beginn der Französischen Revolution

Er widerspricht den zu erwartenden Einwürfen der Einfachheit, der fehlenden Präzision, dem fehlenden gesetzlichen Verfahrensverlauf und dem ausreichenden Vorhandensein gesetzlicher Bestimmungen mit der schlichten, (aber dennoch richtigen) Feststellung, dass Ansätze nicht das Ganze sind, Einfachheit kein Nachteil sein und selbstverständlich juristischer Streit notwendig und richtig sei. Und, dass diese Grundrechte kein Ersatz sind, nicht die Zerstörung des Bestehenden beinhalten, sondern es fördern, es deutlicher, verständlicher und zeitgemäßer machen.

Von Schirach weist auf die Offenheit des Umsetzungsprozesses hin, aber auch eindringlich auf die Notwendigkeit, den Herausforderungen unserer Gesellschaft zu begegnen.

Ausdrücklich zeigt er die Sinnhaftigkeit und (seine) Präferenz der Organisation unserer Staaten als repräsentative Demokratien auf. Dass nur ihre komplizierten Regeln, ihre Ausgewogenheit und Langsamkeit letztlich uns vor uns selbst schützen und eine direkte, eine absolute Demokratie furchtbar gefährlich wäre, ja, wie Theodor Heuss es einst formulierte, eine Prämie für Demagogen sei.

Dennoch sei diese Abstimmung (über die 6 Grundrechte) sinnvoll und notwendig. Das Wesen der Demokratie seien der kluge Kompromiss, die Abfolge kleiner Schritte, der vorsichtige Interessenausgleich. Das führe zur Achtung der Menschenwürde, das bedinge ihre Rechtsstaatlichkeit.

Nichts habe eine solche Kraft wie der gemeinsame Bürgerwille und, natürlich, werden die (heutigen) Profiteure sich - durchaus mit Recht - wehren.

Aber am Ende werde der Unterzeichner etwas Glückliches, etwas Strahlendes hinterlassen.

 

Mich persönlich hat die Einfachheit der Aussagen angesprochen, die als Diskussionsgrundlagen wiederum etwas an unveräußerlicher Grundvorstellung haben. Die in unserem GG enthaltene Ewigkeitsklausel (Art. 79 III GG) kam mir sofort in den Sinn.

Im Folgenden stichwortartig nur ein paar Grundgedanken, denen selbstverständlich wiederum widersprochen werden darf, aber dies bringt dann Bewegung ins Geschehen (was ja auch gewollt ist).


- Jeder Mensch

  • Keine Frage, ob Mann, Frau, Kind oder Greis
  • Keine Frage der Nationalität (Alle Deutsche haben … (Art. 8 ff GG))
  • Keine PoC-, Behinderten- oder i.d.R. nur selbstreflektierende
  • Gendersternchendebatte
  • Keine Frage vermeintlicher Benachteiligung, die vielfach doch vom eigenen Vorteil lebt

 

- Art. 1 Umwelt

  • Die Selbstverständlichkeit dessen, was heute unter der Begrifflichkeit der Nachhaltigkeit diskutiert wird
  • Natürlich wird es hier Auslegungsdiskussionen geben, aber die Grundausrichtung, die Maxime steht


- Art. 2 Digitale Selbstbestimmung

  • Klares Verbot
  • Datensammeln ja, aber kein Ausforschen (z.B. durch Arbeitgeber oder
  • Versicherung) und keine Manipulation (Geschäfts-/Politikinteressen -Stichwort: Social Bots)


- Art. 3 KI

  • Unser Leben ohne KI ist nicht mehr vorstellbar und wir haben noch keine Vorstellung, was alles denkbar sein wird, aber es muss
  • überprüfbar sein und
  • entscheidend: letzter Entscheidungsträger ist der Mensch (Stichwort: Cobots)

 

- Art. 4 Wahrheit

  • Transparenz und Offenheit nicht nur bei KI, sondern
  • beim Amtsträger – das dürfte Politik wieder verlässlich und vertrauenswürdig machen


- Art. 5 Globalisierung

  • Verbot moderner Sklaverei durch Ausnutzung globaler Wirtschaftsabläufe

 

- Art. 6 Grundrechtsklage

  • Die Selbstverständlichkeit des Rechtsweges bis zur letzten Instanz

 

Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass - auch wegen der Einfachheit der Aussagen – hier gestritten werden wird.

Aber die Einfachheit folgt dem alten lateinischen Rechtsgrundsatz des Maxima jus, maxima injuria oder der schlichten Volksweisheit, wer alles regeln will, regelt nichts.

Und, vor allem, sie setzt das Ziel, die Maxime i.S.d. Gemeinwohls, nicht in der interessenorientierten Vorstellung, was natürlich nichts daran ändert, dass das Einzelinteresse zu bewahren und abzuwägen ist.

Ich würde mich freuen, wenn wir uns dieser Idee „Jeder Mensch“ anschließen könnten.

 

Karl-Peter Conrads

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"Jeder Mensch"
von Ferdinand von Schirach
ISBN 978-3-630-87671-9


aktualisiert von Lars Speuser, 15.04.2021, 21:08 Uhr